Pflege von Bäumen in der Reife- und Alterungsphase

 

Wie pflegt man einen alten Baum richtig?

Die fachlich korrekte Pflege von alten Bäumen setzt fundierte baumbiologische, baumphysiologische sowie baumphysikalische Kenntnisse voraus. Kurz gesagt, man muss wissen, wie ein Baum „funktioniert“. Neben einer ganzen Reihe von Fachbüchern, spiegelt vor allem die ZTV-Baumpflege der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e. V. (Fll 2017) den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik in der Baumpflege wider. Sie wurde von einem Arbeitskreis bundesweit anerkannter Experten, Sachverständiger und Wissenschaftlern erstellt und wird regelmäßig aktualisiert.

 

Da unnötige oder überzogene Schnittmaßnahmen an alten Bäumen vergleichsweise häufig zu beobachten sind, sollen an dieser Stelle kurz die wichtigsten Regeln des korrekten Kronenschnitts beleuchtet werden. Primäres Ziel eines Kronenschnittes muss die Erhaltung eines arttypischen Erscheinungsbildes sein. Am Ende ihrer Alterungsphase können Bäume noch eine gute Vitalität aufweisen. Trotzdem sind sie nicht mehr so reaktionsfähig wie Bäume in der Jugend- oder Reifephase und reagieren arttypisch mehr oder weniger empfindlich auf stärkere Verluste ihrer assimilierenden Blattmasse.

 

Aus diesem Grund sollte man die Kronen von alten Bäumen nur in begründeten Fällen schneiden. Bei der Sicherung ausbruchgefährdeter Äste stellt der Einbau einer Kronensicherung in Form von Seilverbindungen eine baumschonende Alternative zum Einkürzen dar. Wenn jedoch in begründeten Einzelfällen Schnittmaßnahmen an älteren Bäumen unumgänglich sind, sollten nur Schwach- und Grobäste bis zu einem maximalen Durchmesser von 10 cm auf Zugast/Versorgungsast eingekürzt werden. Hierbei wird ein nach oben abgehender, dem Hauptast untergeordneter Ast belassen, der die Versorgung des Hauptastes mit Wasser und den darin gelösten Nährstoffen sowie mit Assimilaten aus der Krone sicherstellt und für eine bessere Überwallung der Schnittwunde sorgt, wodurch die Gefahr von stärkeren Einfaulungen verhindert wird. Ebenso behält der Baum seine sog. Appikaldominanz, d. h. dass die Wipfeltriebe ihre hormonell gesteuerte Führungsrolle über untergeordnete Kronenteile behalten. Es kommt nicht zur Verbuschung durch zahlreich austreibende Proventiv- und Adventivknospen. Die Krone des Baumes behält weitgehend ihre natürliche Form und gestalterische Wirkung.

 

Die Entfernung von Totholz, eine moderate Kronenauslichtung (Ausdünnung der Krone im Feinast- und Schwachastbereich) zählen ebenso wie die Entfernung von Stamm- und  Stockaustrieben zu den pfleglichen Schnittmaßnahmen. Alle darüber hinausgehenden Schnittmaßnahmen stellen sogenannte Sondermaßnahmen dar, die fachlich nur in nachvollziehbaren Ausnahmefällen statthaft sind. Dazu zählen die Einkürzung von Kronenteilen oder der gesamten Krone sowie der "ultimative" Kronensicherungsschnitt, bei dem die gesamte Krone  des Baumes im Grob- und Starkastbereich abgesetzt wird. Durch diese Sondermaßnahmen wird das Erscheinungsbild des Baumes erheblich und auf Dauer beeinträchtigt. Es gehen große Teile des assimilierenden Kronenvolumens verloren und durch das Abschneiden von Grob- und Starkästen besteht die Gefahr der Fäulnis, wodurch der Baum geschwächt und in seiner Lebenserwartung eingeschränkt wird. Sind diese Maßnahmen aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig (Gefahr im Verzug), eine Erhaltung des Baumes jedoch gewollt, sollten sie unter Berücksichtigung eines weitgehend arttypischen Habitus und der physiologischen Erfordernisse des Baumes erfolgen.

 

Trotz aller vorliegenden Erkenntnisse wird alten Bäumen, häufig aus der unbegründeten Angst heraus, dass sie versagen könnten, nach wie vor unnötiger Weise die Krone gekappt. Als Reaktion auf diese Verstümmelung bilden vitale alte Bäume Neuaustriebe. Für die korrekte Pflege solcher ehemals gekappter Bäume ist es notwendig, in Abständen von 3 - 5 Jahren die  neu gebildeten Triebe/Ständer zur Erhaltung der Verkehrssicherheit zu vereinzeln und/oder einzukürzen. Dabei sollte oberhalb der ehemaligen Schnittwunden geschnitten werden und nicht in die vorhandenen Überwallungswülste. Die Schnittmaßnahmen sind so durchzuführen, dass allmählich eine Sekundärkrone entsteht, die der Baum zum Überleben benötigt. Gekappte Bäume werden zu einem kostenintensiven Dauerpflegefall.

Im Vergleich dazu lässt sich ein wiederkehrendes komplettes Herunterschneiden der sich neu bildenden Sekundärkrone nur bei schwer geschädigten, nicht mehr verkehrssicheren Bäumen mit stark nachlassender Vitalität und entsprechend kurzer Lebenserwartung als „ultima Ratio“ bei Gefahr im Verzug rechtfertigen.

 

Die folgenden Fotos zeigen beispielhaft gekappte vitale alte Bäume. Bei vitalen, erhaltenswerten Altbäumen, bei denen die Verkehrssicherheit durch schonende Baumpflegemaßnahmen hätte wiederhergestellt werden können, muss diese Maßnahme als Baumfrevel bezeichnet werden.

 

 

 

Aber auch gestalterisch wertvolle, alte Bäume mit nachlassender Vitalität können noch über einen längeren Zeitraum erhalten werden, sofern ihre Verkehrssicherheit gegeben ist. Eine innovative Methode zur Pflege solcher Bäume stellt das aus England stammende "Retrenchment Prunging" dar. Diese Methode wird dort bereits seit vielen Jahren zur Revitalisierung erhaltenswerter alter Bäume eingesetzt. Es wäre wünschenswert, wenn sie in der deutschen Baumpflege  stärker zum Einsatz käme.

 

Was sind im Ernstfall die Kriterien dafür, dass ein Baum noch erhalten werden kann und sollte?

Bäume abseits von öffentlichen Straßen oder anderen Bereichen ohne öffentlichen Verkehr (z.B. Waldbäume abseits öffentlicher Straßen) können über den Zeitpunkt ihres Absterbens hinaus bis zu ihrem Zerfall erhalten bleiben. Im urbanen (städtischen) Bereich sieht das anders aus. Hier müssen Bäume entlang von öffentlichen Straßen, Plätzen oder Parkanlagen verkehrssicher, das heißt stand- und bruchsicher sein.

Im Gegensatz zu jungen und mittelalten Bäumen weisen vor allem alte Bäume Schäden (z.B. Fäulen) auf, die sich durch eine lange zurückliegende Verletzung über viele Jahre entwickelt haben.

Der Entscheidung, ob ein stärker geschädigter Baum noch erhaltenswert ist oder nicht,  liegt ein komplexer Abwägungsprozess zugrunde, in dem folgende grundlegende Fragen abzuklären sind:

1.   Ist die Verkehrssicherheit des geschädigten Baumes wiederherstellbar?

2.   Um was für einen Baum handelt es sich?

3.   Erfüllt der Baum an seinem Standort besonder herausragende Funktionen?

4.   Lässt die Vitalität (Lebenstüchtigkeit) des Baumes erwarten, dass er nach Durchführung der
  Pflegemaßnahmen
noch über eine längere Reststandzeit verfügt?

5.   Sind die für den Erhalt des Baumes notwendigen finanziellen Aufwendungen vertretbar und ist
  der
Baumeigentümer bereit, diese zu tragen?

Zum besseren Verständnis zwei Beispiele:

Es dürfte für jeden vernünftig denkenden Menschen nachvollziehbar sein, dass bei wiederherstellbarer Verkehrssicherheit und altersentsprechend guter Vitalität, ein kulturhistorisch und gestalterisch wertvolles Naturdenkmal wie beispielsweise die „Göttinger Gerichtslinde“ oder die „Alte Dorflinde“ in Gladebeck bei vertretbaren Pflegekosten auf jeden Fall solange wie möglich erhalten werden sollten.

Im Vergleich dazu dürfte es ebenso verständlich sein, dass die Entscheidung bei einem von vielen gleichartigen Bestandsbäumen einer waldartig angelegten Parkanlage anders ausfällt, wenn dieser bei deutlich nachlassender Vitalität und entsprechend kurzer Reststandzeit nur noch mit großem Aufwand erhalten werden kann.

Im Vergleich zu den genannten, eindeutigen Beispielen gestaltet sich der Abwägungsprozess bei den in der täglichen Baumpflegepraxis anzutreffenden, vielgestaltigen Fallkonstellationen deutlich schwieriger.

 

Literatur

DUJESIEFKEN, D.; LIESE W. (2008): Das CODIT-Prinzip. Von den Bäumen lernen, für eine fachgerechte Baumpflege.
                  Haymarket Media GmbH & Co. KG, Braunschweig, 159 S.
FLL - FORSCHUNGSGESELLSCHAFT LANDSCHAFTSENTWICKLUNG LANDBAU E.V. (Hrsg.) (2017): ZTV-Baumpflege
                  - Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baumpflege. 5. Auflage. Bonn, 71 S.
FLL - FORSCHUNGSGESELLSCHAFT LANDSCHAFTSENTWICKLUNG LAND-SCHAFTSBAU E.V. (Hrsg.) (2010): Baumkontrollrichtlinien
                  - Richtlinien für Regelkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen.Bonn, 53 S.
ROLOFF, A. (2010): Bäume. Lexikon der praktischen Baumbiologie. WILEY-VCH Verlag, Weinheim, 207S.
Sinn, G. (2003):Baumstatik: Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen an Straßen, in Parks und der freien Landschaft.
                  Thalacker Medien, Braunschweig, 184 S.  
WESSOLLY, L., ERB, M., 1998: Handbuch der Baumstatik. Patzer Verlag, Berlin-Hannover, 270 S.